Bertolt Brecht: Die Liebenden
Seht jene Kraniche in großem Bogen!
Die Wolken, welche ihnen beigegeben
Zogen mit ihnen schon als sie entflogen
Aus einem Leben in ein anderes Leben.
In gleicher Höhe und mit gleicher Eile
Scheinen sie alle beide nur daneben.
Daß so der Kranich mit der Wolke teile
Den schönen Himmel, den sie kurz befliegen
Daß also keines länger hier verweile
Und keines anderes sehe als das Wiegen
Des andern in dem Wind, den beide spüren
Die jetzt im Fluge beieinander liegen:
So mag der Wind sie in das Nichts entführen.
Wenn sie nur nicht vergehen und sich bleiben
So lange kann sie beide nichts berühren
So lange kann man sie von jedem Ort vertreiben
Wo Regen drohen oder Schüsse schallen.
So unter Sonn und Monds verschiedenen Scheiben
Fliegen sie hin, einander ganz verfallen.
Wohin ihr? - Nirgend hin. Von wem davon? – Von allen.
Ihr fragt, wie lange sind sie schon beisammen?
Seit kurzem. – Und wann werden sie sich trennen? – Bald.
So scheint die Liebe Liebenden ein Halt.
Einführung: Dieses Gedicht ist bisher das Schönste, das ich von Brecht kenne und es hat mich sehr überrascht, dass er so eine liebevolle, fast zärtliche Sprache hat, weil ich ihn sonst immer eher als bissigen Humoristen oder scharfen kritischen Zeitgeist erlebt habe.
Aber das hier ist ganz anders: Wie schwebend, voller Poesie und Weite. Dieses Bild hat mich sehr berührt, tief bewegt und fasziniert mich bis heute. Ich kann es nicht ganz greifen, mit dem Verstand erfassen, das finde ich schwierig, aber emotional habe ich sofort einen Bezug dazu gefunden.
Ich weiß nicht, ob ich in einer Liebesbeziehung je so eine harmonische Tiefe durch dick und dünn finden werde, aber in den engen Beziehungen zu Freundinnen finde ich es immer wieder. Das ist zumindest mein Eindruck. Deshalb hat es mich sofort angesprochen und ich habe das Gefühl, diese Art von Beziehungen sehr stark nachvollziehen zu können.
Ich werde jeden Tag mit so viel Liebe beschenkt und finde es spannend, ausgerechnet bei Brecht ein solch großartiges Gedicht entdecken zu können.
Ich höre mir die Aufsprache der Schauspielerin, die es gelesen hat, immer wieder gern an. Sie hat nicht nur eine tolle Stimme, sondern liest dieses Gedicht auch wunderschön. Kann ich wirklich nur jeder*m empfehlen, sich damit auseinanderzusetzen und die Tiefe dieses wunderschönen Gedichts für sich perösnlich auszuloten.
Bertolt Brecht, geboren 1898 in Augsburg, gestorben 1956 in Ost-Berlin, war ein einflussreicher Dramatiker und Lyriker. 1933 flieht er mit seiner Familie vor den Nazis und lebt im Exil in Dänemark und in den USA. 1948 Rückkehr nach Ost-Berlin.
Quellenangabe: https://www.deutschelyrik.de/die-liebenden-859.html
Zurück zu Geniale Gedichte
Zurück zur Startseite